Sozialer Frieden in Gefahr | Es scheint also noch schlimmer zu kommen als erwartet. Deutschlands größter Vermieter – die Vonovia – hat einen bisher beispiellosen Schritt angekündigt, das Heizen nachts einzuschränken. Im Herbst 2022 werden zwischen 23 Uhr und 6 Uhr nur noch 17 Grad Celsius drin sein. Das ist eine beklemmende Vorschau darauf, was in diesem Winter auf die wirtschaftlich stärkste europäische Nation wartet. Es scheint also noch schlimmer zu kommen als erwartet.
Deutschland rationiert nicht nur Warmwasser, dimmt seine Straßenlaternen und schließt Schwimmbäder. Die Auswirkungen der Energiekrise treffen auch die Industrie hart. Büros werden im Herbst zu Kühlschränken. Auch die Produktion leidet bereits jetzt. So wird es beispielsweise ohne Gas bald keine Milchprodukte Made in Germany mehr geben. Ohne Gas kein Käse! Die Molkereibranche ist nun mal leider energieintensiv. Es drohen Produktionsstopps, Pleiten und höhere Preise. Da wird ein geschlossenes Freizeitzentrum dann zur Nebensache.
Heizen wird nachts eingeschränkt
Der Grund für Deutschlands Zeitlupenlähmung ist bekannt: Der enorme Anstieg der Gaspreise, ausgelöst durch Russlands Reduzierung der Lieferungen an Deutschland, hat Europas größte Volkswirtschaft in die schwerste Energiekrise seit dem Ölpreisschock von 1973 gestürzt. Strompreise erreichen nie dagewesene Höhen. Gasimporteure kämpfen ums Überleben. Verbraucher-Rechnungen gehen durch die Decke.
„Die Lage ist mehr als dramatisch“, sagte Axel Gedaschko, Vorsitzender des Bundesverbands deutscher Wohnungsunternehmen GdW. „Der soziale Frieden Deutschlands ist in Gefahr.“ Es scheint also noch schlimmer zu kommen als erwartet.
Da die Spannungen über Russlands Krieg in der Ukraine eskalieren, muss befürchtet werden, dass sich die Situation verschlimmern wird. Russland hatte vor einigen Tagen seine Hauptpipeline nach Deutschland – NordStream 1 – angeblich wegen Wartungsarbeiten abgedreht. Es darf davon ausgegangen werden, dass sich der Gashahn nicht so schnell wieder öffnen wird.
Gasabschaltung kommt – sozialer Frieden in Gefahr
Wenn diese Gasabschaltung in den kommenden Wochen nicht gelöst wird, führt das zu erheblichen Vorabeffekten beim Wirtschaftswachstum und natürlich auch zu einer noch höheren Inflation. In Erwartung des Worst-Case-Szenarios unternahm Deutschland im vergangenen Monat einen entscheidenden Schritt. Wirtschaftsminister Robert Habeck aktivierte die zweite Stufe des Gas-Notfallplans. „Die Lage auf dem Gasmarkt ist angespannt und wir können leider nicht garantieren, dass es nicht noch schlimmer wird“, sagte er vor einer Woche.
Habeck – der nach eigenen Angaben jetzt weniger duscht – appellierte an die Bevölkerung, Energie zu sparen. Kommunen und Grundstückseigentümer sind dem Aufruf gefolgt.
Beispiel Dippoldiswalde. In der sächsischen Kleinstadt nahe der tschechischen Grenze rationierte eine Wohnungsbaugesellschaft dieser Tage die Warmwasserversorgung ihrer Mieter. Ab sofort können sie nur noch zwischen 4 und 8, 11 bis 13 und 17 bis 21 Uhr heiß duschen. Man muss für den Winter sparen, heißt es in einem Aushang in den betroffenen Wohnblöcken. Sozialer frieden in Gefahr. Es scheint also noch schlimmer zu kommen als erwartet.
Das große Abschalten
Solche Maßnahmen könnten in den kommenden Wochen zur Routine werden. Helmut Dedy – Vorsitzender des Deutschen Städtetages – sagte, die gesamte Gesellschaft müsse jetzt ihren Energieverbrauch senken, und bereits im Sommer sparen, damit wir im Winter warme Wohnungen haben. “Jede Kilowattstunde, die wir einsparen, hilft, den Gasspeicher ein bisschen mehr zu füllen“, sagte er in seinem Appell an die Stadträte im ganzen Land. Er hatte auch ein paar weitere Vorschläge: Ampeln nachts ausschalten; Warmwasser in Gemeindegebäuden, Museen und Sportzentren abstellen, Klimaanlagen abstellen, und aufhören, historische Gebäude zu beleuchten.
Auch Privatkunden werden aktiv und reaktivieren Kaminöfen. Der Verkauf von Brennholz, Holzpellets, Kohle-Briketts, Gasflaschen und -kartuschen ist in die Höhe geschossen.
Noch ist unklar, inwieweit all die erwähnten Maßnahmen höhere Heizkosten abmildern. Fakt ist aber, dass der Ukraine-Krieg die Energiepreise für die Verbraucher um 71 bis 200 Prozent in die Höhe getreiben hat. Das wiederum sorgte jährliche Mehrkosten zwischen 1000 und 3000 Euro für einen Ein-Personen-Haushalt und bis zu 4000 Euro für vier Personen im Vergleich zu 2021.
Bleibt nur zu hoffen, dass Deutschland beim Verlassen der Komfortzone nicht in eine eigene Kriegszone marschiert. Der soziale Friede ist nämlich bereits in großer Gefahr.
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